Wir verfolgen unsere Route weiter entlang der Küste in nördlicher Richtung. Am Vormittag haben wir zunächst die Begleitung eines weiteren Radlers, der mit uns in der Radfahrerstation übernachtet hat. Er stammt zufällig aus der Gegend in der auch Florence lebt und so haben die beiden sich eine Zeitlang einiges zu erzählen. Die Strecke bleibt für den Tag und darüber hinaus überwiegend flach, selten wird das Profil leicht wellig.
Nachdem wir die X435 verlassen haben, die von der Insel Shenzhou über eine noch recht neue Brücke ostwärts herunterführt, ist kaum noch Verkehr um uns herum. Wir bleiben weiterhin in Küstennähe und nach einigen Kilometern verläuft die Straße parallel zu einem längeren Strandabschnitt.
Zuvor passieren wir eine Gegend mit vielen größeren Fischzucht-Becken, so wie auch gestern abend schon, als wir von der anderen Richtung her gekommen waren. Die motorisch betriebenen Paddelräder, mit denen das Wasser belüftet wird, hatten wir gestern schon mehrmals im Küstennahen Bereich gesehen, und diese Becken erinnern mich sehr an den Süden Thailands, wo ich derartiges in noch viel größerer Zahl gesehen hatte. Auch mit mehr Paddelrädern pro Becken. Dort waren es Großgarnelen, hier sind es Fische in der Größe von Karpfen, die mit Netzen aus einem der Becken geholt und in mit Wasser gefüllte Styroporboxen gezwängt werden. Dann werden sie auf Klein-LKWs geladen. Auf der anderen Straßenseite stehen Wasserbüffel auf einer Art Weide, eine größere Gruppe dieser Tiere, die man sonst immer mal einzeln in feuchten Niederungen oder auf abgeernteten Reisfeldern stehen sieht..
An den Strand kommen wir nicht direkt heran, ein etwa 100 bis 200 m schmaler Streifen aus Koniferenwald schirmt die Küstenlinie von der Straße ab und nur alle paar hundert Meter ist ein schmaler Zugang angelegt. Teilweise etwas versteckt und verwahrlost – erstaunlich dass hier kaum jemand anzutreffen ist, wo der Strand selbst naturbelassen und einige Kilometer lang ist. Allerdings ist dieser Ort auch einige Kilometer von den nächsten Bettenburgen entfernt.
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Eine gute Gelegenheit für eine kurze Pause im Schatten unter den locker stehenden Bäumen, denn der Himmel ist nur leicht bewölkt, die Sonne heizt die Luft im Lauf des Vormittags schnell wieder auf ca. 28 – 29°C auf. Am Strand liegt ein Fisch-Trawler, der offenbar in rauer See hierher gespült wurde. Stürme sind im Südchinesischen Meer vermutlich auch keine Seltenheit.
Laut Karte führt uns die Straße weiterhin immer nah der Küste auf einer schmaler werdenden Landzunge, die auf Landseite von einem großen See begrenzt wird, der nacheinander Kilometern als Long Wei River ins Meer mündet. Die Straße sollte durchgängig über diesen relativ breiten Fluss führen, endet dort aber abrupt an einer Kaimauer. Ein über das Wasser pendelnder, motorisierter Schwimmponton macht hier die Fähre. Nicht für Autos geeignet, aber voller Kleinmotorräder tuckert das Ding über den eher ruhigen Fluss, vorbei an einer Vielzahl von schwimmenden Fischzuchtbecken und Fischerbooten.
In der Nähe des Ortes Hele verlässt uns unser neuer Begleiter schon wieder, von dem Florence mir einmal klagt, er würde zu viele Fragen stellen. Sein Englisch ist allerdings nur rudimentär, so dass er sich mit mir während der kurzen Zeit kaum unterhalten konnte. Er will zurück nach Wanning, das etwas weiter im Landesinnern an der Kreuzung mehrerer Fernstraßen liegt und das wir nun weiträumig umfahren haben, und von dort mit einem Bus nach Haikou und weiter nach hause. Mit seinem Faltrad kein Problem.
In den kleineren Städten herrscht immer ein sehr geschäftiges Treiben und wird der Verkehr schnell unübersichtlich. Viele Geschäfte und kleine Verkaufsstände an der Straße bieten Lebensmittel, Obst, Haushaltswaren, daneben befindet sich oft auch die eine oder andere Garküche und viele Leute schauen eher auf die Auslagen oder das Angebot, reden vom Moped aus im Vorbeifahren mit der Händlerin und keiner achtet so richtig auf seine Umgebung. Da werde ich häufig einfach ausgebremst, muss ständig selbst die Augen in alle Richtungen offen halten, denn gerne startet ein motorisiertes Zweirad gerade dann, wenn ich auf gleicher Höhe bin, oder kommt ausgerechnet dann um die Ecke, wenn ich die Einmündung passiere. Selten hält jemand gleich wieder an, nur weil ein Fahrrad daherkommt. Aber daran, dass ich hier mit dem Verkehr einfach mitschwimmen muss und das viele Gehupe getrost ignorieren kann, daran habe ich mich inzwischen gewöhnt.
War unser Quartier in der Nähe von Shenzhou so etwas wie eine Idylle, so ist Bo’ao wieder ein ziemlicher Hotspot. Die Stadt beherbergt nicht nur das ‚Boao Forum for Asia‘, eine NGO, die überregionale Konferenzen veranstaltet, am Rand der Stadt befindet sich auch das größte Buddhistische Kloster in Hainan, in das gleich noch ein offenbar beliebtes Museum mit angeschlossen ist. Die Besucher kommen jedenfalls in großer Zahl u.a. mit Bussen dorthin.
Wir erreichen die Stadt am späten Nachmittag nach etwas mehr als 90 km Fahrt und finden relativ schnell ein preiswertes Guesthouse in einer ruhigen Seitenstraße nahe des alten Zentrums.
Am nächsten Morgen bekommen wir die schon erwähnte Nudelsuppe bei den muslimischen Glaubensbrüdern. Die hintere Wand des kleinen Gastraums schmückt ein Wandgemälde einer großen Moschee. Der Himmel ist bewölkt, als wir uns auf die Räder setzen und losfahren, bei etwa 24°C.
Vom Altstadtkern des Städtchen Bo’ao existiert nicht mehr allzu viel, schnell geht die Bebauung der nach Norden führenden Straße in modernere Architektur und Wohnhochhäuser über. Die Ausfallstraße verlassen wir aber recht schnell wieder und fahren mit leichtem Rückenwind weiter nordwärts durch die dörflichen Siedlungen entlang der Küste bis Tanmen und weiter entlang der Bucht zwischen Changpo und Huiwen.
Auf Feldern neben der Straße werden teils im großen Stil Tomaten angebaut, die Früchte überwiegend in der Größe von Cocktailtomaten. Daneben werden Zucchini ähnliche Früchte gezogen, die wie die Tomaten an rankenden Pflanzen wachsen und recht groß werden.
Hainan ist eine ausgesprochen grüne Insel. Dort wo Flächen nicht landwirtschaftlich genutzt werden oder bebaut sind, scheint die Natur schnell wieder das zu überwuchern, was nicht hinein gehört. Das fällt manchmal am Straßenrand auf, wo hinter dem Straßengraben erstmal nichts außer Vegetation kommt, was allerdings im Küstenbereich selten der Fall zu sein scheint ist. Von möglicherweise wild lebenden Tieren ist praktisch nichts zu sehen, außer von einigen Schlangen, die zu unvorsichtig auf der Straße waren. Davon scheint es eine ganze Menge zu geben, lebendig habe ich allerdings keine gesehen.
In Wenchang wollen wir erneut mit einer Fähre über den dortigen, etwa einen halben Kilometer breiten Fluss übersetzen, da die Brücke der Fernverbindung S201 uns eher einen Umweg bringen würde. Florence will ein stückweit durch den ‚Coconut Forest‘ radeln, der sich etwas weiter südlich am gegenüber liegenden Ufer erstreckt. Doch die Fähre müssen wir suchen, als die Straße zum Hafen überraschend inmitten eines überdachten Marktes endet.
Etwas versteckt liegen aber an der Kaimauer zwei Barkassen, oder besser, zwei kleine Boote, die auf Kundschaft warten. Eines ist schon bereit zum Ablegen und die Eignerin des anderen Bootes – Frau Wang, wie das Namensschild an ihrem öligen Pullover verrät – erklärt uns, dass wir warten müssten bis genügend Passagiere zusammen sind, aber sie würde uns an der gewünschten Stelle weiter südlich am gegenüber liegenden Ufer absetzen – für je 10 Yuan mehr auch gleich. Das halte ich für geschenkt, bei einer quasi Privatfahrt, also laden wir das Gepäck ab, bringen die Räder und Taschen über den Bug auf das teilüberdachte Boot, während die Chefin die Maschine im Heck betankt. Ein Einzylindermotor, ähnlich denjenigen, die für die universellen Einachs-Zugmaschinen in der hiesigen Landwirtschaft verwendet werden.
Sie legt mit uns ab und manövriert das Boot gekonnt zwischen den größeren Fischerbooten und verschiedenen anderen Schiffen, die vor Anker liegen hindurch, beginnt angestrengt zu telefonieren und steuert bald einen Punkt am direkt gegenüber liegenden Ufer an. Es dauert etwa 10 Minuten, bis wir dort zwischen mehreren ähnlich großen Booten anlanden. Aussteigen sollen wir nicht, stattdessen steigen weitere Personen zu, sechs freundliche Einheimische, die offenbar die Ursache für das Telefonat waren.
Die Weiterfahrt dauert noch einmal etwa 10 Minuten, nun entlang des Ufers in südlicher Richtung, bis zu einem weiteren Anleger, an dem Florence und ich dann aussteigen. Die anderen Passagiere lassen sich noch weiter chauffieren und winken zum Abschied.
Über schmale und ruhige, durchweg betonierte Wirtschaftswege fahren wir weiter durch die üppige Vegetation, bis nach Dongjiao. Kokospalmen stehen dicht an dieser schmalen Straße und die schräg gewachsenen Palmen überragen sie häufig, die Kronen voller Kokosnüsse. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit und dann auch der Statistik, wann die nächste Nuss auf ein Fahrzeug fällt und wieviele Leute schon dadurch zu Schaden gekommen sind. Ein Fahrradhelm dürfte gegen eine herabsausende Nuss auch wenig ausrichten können, überlege ich während ich unter den vielen drohenden Nüssen hindurch fahre.
Von Dongjiao sind es immer noch rund 15 km, die wir größtenteils wieder auf der ausgebauten Fernverbindung entlang der Küste fahren. Das Gelände ist leicht profiliert und die Anstiege ziehen sich beinahe schnurgerade hin. Kurz vor dem Abzweig nach Longlou dann ein gut gesichertes Museum am Straßenrand, in der Ferne in Richtung Küste kann ich mehrere hohe, quaderförmige Hallen erkennen, Montagehallen für Weltraumraketen. Mir war gar nicht so recht klar, dass es in Hainan auch einen Weltraumbahnhof gibt. Später sehe ich an einer Straßenkreuzung im Ort ein Modell einer Rakete vom Typ ‚Long March‘.
Longlou ist eher ein verschlafenes Nest, das Gästehaus, das wir in einer Seitenstraße finden, aber ist relativ neu und das geräumige Zimmer bietet genügend Platz auch einmal die Wäscheleine zu spannen und die zuletzt noch feuchten Dinge alle einmal aufzuhängen. Dazu lasse ich die Klimaanlage im Entfeuchtungsmodus laufen und am nächsten Morgen ist auch tatsächlich alles trocken.
Von Longlou bis nach Haikou sind es dann doch noch knapp über 100 km, die wir am nächsten Tag in Angriff nehmen und dank des leicht böigen Windes aus östlicher Richtung auch schneller zurücklegen, als zu erwarten wäre. Auch wenn wir nicht den direkten Weg entlang der Fernverbindung S201 wählen. Viel Abwechslung gibt es entlang der Strecke trotzdem nicht, das Wetter hält aber durch und den Regen zurück, auch wenn die Bewölkung sukzessive zunimmt und später in Haikou sogar unangenehm kühler Wind aufkommt.
Etwa 40 km vor dem Stadtzentrum machen wir am Nachmittag, als die Sonne doch einmal für längere Zeit durch die Wolken kommt, in dem Städtchen das eigentlich auch schon unter die Verwaltung des Großraums Haikou fällt, eine etwas verspätete Mittagspause. Aber bis dahin lief es gut, da wollte ich nicht zu früh unterbrechen, umso stärker ist jetzt der Hunger. Es gibt wieder einmal Nudelsuppe mit Eistich und da der Chef der Küche auch eine kleine Vitrine mit Backwaren präsentiert, zum Nachtisch noch einen etwas zu süßen, fluffigen Teigball.
Kurze Zeit später wird der Verkehr auch deutlich dichter und rund um den Flughafen, an dem wir direkt vorbei müssen, ist wegen Baustellen dichter Stau. Haikou ist eben eine Großstadt und sobald wir den Innenstadtbereich erreichen, lassen wir die breiten Straßen links liegen und fahren für etliche Kilometer auf einer Promenade, die sich direkt am Ufer des Haikou River entlang nordwärts erstreckt. Leider endet sie abrupt wegen einer Uferbaustelle und wir müssen doch entlang der Straße fahren.
Bis zum Banana Hostel ist es aber nicht mehr weit, der Fluss macht einen 90°-Knick und trennt den nördlichen Teil Haikous, die eigentlichen Innenstadt, als eine Insel vom Rest der Stadtfläche, dem weitaus größten Teil ab. Wir nutzen die dritte der Brücken über den Fluss, auf der eigene Fahrstreifen für Zweiräder zur Verfügung stehen. Eine schöne Runde um die Insel Hainan endet damit nach rund 677 Kilometern.
Morgen werden wir mit einem der vielen Fährschiffe nach Hai’an auf das Festland übersetzen, wo ich dann meine Reise durch einen Teil Südchinas in Richtung Macau fortsetzen will, während Florence dann mit einem Nachtbus nach hause fährt.