Weniger als einen Kilometer von meinem Quartier in der Lee Garden Road entfernt, befindet sich eine kleine Parkanlage, der Victoria Park. Dort führt eine schmale Tartanbahn in einer Art Rundkurs durch das Grün und um eine große Rasenfläche mit Sportanlage herum. Die Strecke ist 625 Meter lang, sie ist alle 25 Meter markiert und eigentlich für Läufer reserviert, aber auch viele Spaziergänger nutzen diese Bahn, manchmal zu zweit oder zu dritt nebeneinander her spazierend und sich angeregt unterhaltend.
Dies ist eine ruhige Oase unweit der hektischen und lauten Geschäftsstraßen. An drei Tagen drehe ich hier morgens meine Runden. Von meinem kleinen Hostel aus laufe ich im leichten Nieselregen entlang der unübersichtlichen Straßen, auf denen so viele Menschen auf dem Weg ins Büro oder zur U-Bahn hin und her hetzen, beinahe eingezwängt zwischen den teilweise mehr als 40 Etagen hohen Bürotürmen und Shopping-Malls. Morgens ist der leichte Regen ganz angenehm beim Laufen, kommt die Sonne durch die Wolken wird es schnell schwülwarm, aber das passiert selten.
Hong Kong, oder besser: Hong Kong Island, ist schon recht speziell. Der bebaute Küstenstreifen ist verhältnimäßig schmal, nur wenige 100 m bis knapp über 2 km breit, dahinter steigt das felsige Gelände steil an. Ich habe den Eindruck, die Hochhäuser in der Bay würden bis in die Höhe der Berge aufragen.
Für ein paar Tage lasse ich das Fahrrad auf dem Balkon des Hostels stehen und bewege mich nur zu Fuss oder mit der Metro durch die Stadt. Die Straßen in der Causeway Bay sind wegen dieser hohen Gebäude schlichtweg unübersichtlich, etwas bessere Orientierung gewinne ich aber dadurch, dass ich mich kreuz und quer in diesem Teil der Stadt bewege. Es braucht z.B. zwei beinahe vergebliche Versuche, das nächstgelegene Postamt zu finden, obwohl in der Übersichtskarte verzeichnet, da es sich überraschender Weise im 10. Geschoss eines 18-stöckigen Shopping- und Bürohochhauses befindet und eben nicht zu ebener Erde und in einem Einzelgebäude, wie ich es vermutet hätte. Unten ein riesiger Eingangsbereich mit Galerien von kleineren Restaurants und Geschäften über zwei Etagen, darüber noch weitere 5 Etagen mit Geschäften für Mode, Mobilfunkzubehör und anderen Dingen die niemand braucht, darüber mehrere Etagen mit Handelsvertretungen, Versorgungseinrichtungen und weiteren kleineren Geschäften. Das Postamt besteht auch nur aus einem kleinen Schalterraum mit vielleicht 25 m2 Grundfläche und in die Wand zum Flur eingelassenen Briefkästen. Briefmarken bekomme ich hier genügend, Postkarten muss ich woanders suchen. Die finde ich dann später bei einem kleineren Laden etwas abseits der Hennessy-Road in einer Nebenstraße, der einem alles mögliche an antikem Trödel verkauft. Hier gibt es so etwas wie Souvenirs und eben Karten, wenn die auch schon etwas abgelagert aussehen, im Gegensatz zu den Shopping-Malls, wo selbst gut bestückte Schreibwarenhändler keine Postkarten im Angebot haben.
Am nächsten Tag finde ich dann noch viel mehr Karten bei den Zeitungshändlern am Pier der Star Ferry Gesellschaft in Kowloon, auf der gegenüberliegenden Seite der Bay. Mit der Metro ist das relativ einfach zu erreichen, die Causeway Bay Station liegt schließlich keine 200 m von meinem Quartier entfernt. So erkunde ich am Nachmittag die Gegend um die Metrostation Tsim Sha Tsui. Die Straßen sind dort etwas regelmäßiger angeordnet, aber nicht weniger unübersichtlich. In einem der Hochhäuser am Hafen, das sowohl Hotel als auch Mall ist, finde ich einen Buchhändler, der sich über zwei verwinkelte Etagen erstreckt. Hier ist der Stress von der Straße weiter unten weit entfernt.
Am Pier weht der Wind kühl und feucht von See her, das Wetter ist insgesamt regnerisch. Die niedrigen Fähranleger der Star Ferry Gesellschaft, die heute fast nur noch touristische Bedeutung hat, sind zwar überdacht, aber sehr zugig. Deshalb zieht es mich immer wieder in den einen oder anderen Shopping-Tempel, die hier in der ‚Harbour City‘ alle irgendwie miteinander verbunden sind, auch wenn mich die Mode-Label nicht sonderlich interessieren.
Das Wetter ist leider auch am Tag meiner Weiterreise von Hong Kong Island hinüber nach Kowloon und weiter nach Tsuen Wan nicht sehr freundlich. Ich starte nach einem leckeren Frühstück im ‚Lucky Star‘, zwei Ecken vom Hostel entfernt, und arbeite mich dann mit dem Fahrrad im leichten Nieselregen hinunter zur Hennessy Road, und entlang der Causeway Road weiter bis zum Fährhafen am North Point. Die Boote der First Ferry Gesellschaft nehmen immerhin auch Fahrräder mit an Bord, was bei der Star Ferry laut deren Beförderungsbedingungen ausgeschlossen ist. Das hatte ich am Tag vorher noch recherchiert und das freundliche Männlein an den Drehkreuzen, die den Zugang zum Pier versperren dann gefragt, ob ich denn mit meinem bepackten Rad passieren dürfte. Leider verstand er kein Englisch aber den Begriff 自行车 für ‚Fahrrad‘ konnte ich mir nach kurzem Überlegen noch zusammenreimen, und da wurde der kleine Mann richtig lebendig, öffnete mir ein Seitentür zum Wartebereich und rechnete die 10HK$ fürs Rad sogar in eine separate Handkasse ab.
Etwa 10 Minuten dauert die Überfahrt über die Kowloon Bay und das an diesem trüben Vormittag nur mit wenigen Passagieren besetzte Boot legt dann am Kowloon City Ferry Pier, nicht allzu weit von dem seit vielen Jahren bereits stillgelegten, ehemaligen Innenstadt-Flughafen an.
Die Strecke bis nach Tsuen Wan im Nordwesten von Kowloon ist für mich dann mit einigen Herausforderungen gespickt, da mich die generelle Einbahnstraßenregelung immer wieder zu Umwegen zwingt. An einem Kreuzungspunkt mehrerer Schnellstraßen in Cheung Shan, die für Radfarher natürlich tabu sind, komme ich nur über ein längeres Stück Fußweg weiter in meine Richtung. Die etwas später folgende Lai King Hill Road trägt ihren Namen zu recht und nach dem kurzen aber mühsamen Anstieg habe ich dann doch auch mal eine kleine Übersicht auf die in dieser Ecke Hong Kongs völlig unregelmäßig angelegten Straßen.
In Kwai Chung muss ich später dann nochmal einen Hügel erklimmen, bevor ich mein Hotel erreiche, das leider doch in einer gemischten Gewerbe- und Wohngegend liegt, gegenüber einer größeren Baustelle. Es ist aber kein Problem, ein Zimmer zu bekommen, das in die abgewandte Richtung schaut, Fenster lassen sich allerdings nicht mal öffnen. Das Zimmer ist deutlich größer, als mein erstes am anderen Ende der Stadt, und hier passt sogar das Fahrrad zwischen Fenster und Bett.